01.03.17

Kinokritik: Logan (USA 2017) – Schmerzvolles Ende einer Ära

Es ist ein Abschied in Blut und Schmerz.
Vor siebzehn Jahren ebneten Patrick Stewart als Professor Charles Xavier und Hugh Jackman als Wolverine in Bryan Singers bahnbrechendem X-MEN dem Superheldenkino den Weg. Jetzt verabschieden sich beide Urgesteine von ihren ikonischen Rollen. Und das in dem vielleicht bisher besten Film, der auf Grundlage der Marvel Comics bisher ins Kino kam. LOGAN ist düster, poetisch, blutig, und ganz und gar hemmungslos wehmütig.
Ein schmerzhafter Abschied für die Fans. Und endlich, im dritten Anlauf, ein Wolverine Stand-Alone-Film, der uneingeschränkt zu empfehlen ist.
© Twentieth Century Fox of Germany GmbH
- Spoilerwarnung - 
Diese Rezension richtet sich an, ich sage mal, „gewöhnliche“ Kinogänger. Diese werden in LOGAN einige Überraschungen erleben, die wir hier nicht erwähnen werden.
Kenner der Comics rund um Wolverine, X-23 und die Earth-616 Continuity werden vermutlich deutlich weniger Überraschungen erleben. Diese Review wendet sich NICHT an die Comic-Kenner – unter anderem aus dem Grund, dass es da deutlich kompetentere Rezensenten gibt als mich, aber auch, weil der Film auch für nicht Comic-Kenner interessant ist, und entsprechend besprochen werden sollte.

Marcos Blick:

Einen Zahn muss man dem geneigten Publikum dennoch sofort ziehen: Nein, LOGAN ist keine Verfilmung der populären Storyline rund um „Old Man Logan“. Weder löscht Wolverine seine Freunde aus, noch gibt es düstere Endkämpfe gegen Superschurken oder eine fragmentierte „Battleworld“.
Allerdings kann man LOGAN anrechnen, sich der durchaus düsteren Endzeitstimmung der „Old Man Logan“-Comics zu bedienen.

LOGAN spielt, das darf man verraten, im Jahr 2029, und zelebriert vom ersten Bild an eine Welt am Abgrund. Logan ist alt geworden, schwach, müde – ein bloßer Schatten des einst so feurigen Wolverines. Schon lange hat er sich zurückgezogen und lebt unter seinem ursprünglichen Namen James Howlett mehr oder weniger unerkannt in einer Welt, in der es keine Mutanten mehr gibt.
Ebenso abgenutzt präsentiert sich Charles Xavier, mittlerweile über 90, und von einer Krankheit geplagt, die ihn für die Menschheit zu einer enormen Gefahr macht.

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Logan und Charles Xavier sind, mehr oder weniger, die letzten Überreste, nicht nur der X-Men, sondern der einst die Welt umspannenden Menge von Mutanten. Und ja, beide stehen selbst kurz vor dem Ende. Die Frage ist nur, wen sie mit sich in den Abgrund reißen werden.

In diese trostlose Situation bricht das Chaos ein, und zwingt Logan, der des Kampfes und des Gejagtseins müde ist, ein letztes Mal dazu, die Krallen auszufahren und sich einem schier übermächtigen Gegner entgegenzustellen. Unvermittelt gerät er zwischen die Fronten, als eine junge Krankenschwester und der bösartige Sicherheitschef eines Milliardenkonzerns um das Leben eines kleinen Mädchens streiten. Beide suchen Logans Hilfe. Und auch Xavier drängt Logan dazu, sich des Mädchens anzunehmen.
Doch als Logan sich schließlich fügt, beginnt er damit einen Kampf, dem er nicht mehr gewachsen ist, und nach dessen Abschluss nichts mehr so sein wird, wie es einmal war …

Das Ende ...


Von der ersten Szene an färbt Regisseur und Autor James Mangold seinen Film LOGAN in einen Ton der Trostlosigkeit, des Endes, des Abgesangs. Man erkennt deutlich Mangolds Liebe zu Johnny Cash, dessen Biographie WALK THE LINE er bereits grandios verfilmte.
Schon in WOLVERINE: WEG DES KRIEGERS versuchte Mangold, dem unsterblichen Superhelden eine düstere Geschichte und einen Kampf gegen seine eigenen Dämonen angedeihen zu lassen, scheiterte jedoch schlussendlich daran, dass er doch bloß wieder nur eine typische, überzogene Superheldengeschichte erzählte.

In LOGAN nun macht er alles richtig. Der nihilistische Geist, der schon Johnny Cash zur Legende machte, durchweht auch LOGAN durchgängig. Die Helden in LOGAN sind einsame Wanderer auf dem Highway, deren einzige Begleiter Schmerz, die Dämonen ihrer Vergangenheit und der allgegenwärtige Tod sind. So ist es kein Wunder, dass schon der erste Trailer für LOGAN kongenial von Cashs Coverversion des Nine Inch Nails Klassikers „Hurt“ begleitet wurde, und wenn schließlich der Abspann über die Leinwand rollt, scheint Cashs „The Man Comes Around“ tatsächlich die einzig sinnvolle Untermalung zu sein.
Aber auch Marco Beltramis Score bedient sich klanglich immer wieder an den Klassikern des „Man in Black“, ebenso wie die Themen des Films.

Vor allem aber gelingt Mangold in LOGAN das Kunststück, eben keinen typischen Superheldenfilm zu erzählen.
Statt einer Geschichte von Heldenmut oder dem abenteuerlichen Kampf gegen böse Superschurken, präsentiert uns Mangold ein düsteres, philosophisches Roadmovie, in dem die einst so strahlenden Helden Wolverine und Professor X über das Töten sinnieren, über das Sterben, und über den Wert eines einfachen, friedvollen Lebens.
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Schon wenn der Film beginnt, hat Logan eine Menge verloren. Er humpelt, er hadert, er resigniert. Nein, dieser Logan ist kein Held mehr, kein Soldat. Dieser Logan ist eine ausgebrannte Hülle, die sich nach dem Tod sehnt, den seine Fähigkeit ihm seit gut 150 Jahren verwehrt. Ein Mann, der alles verloren hat, der jeden Tag nur noch mit seinen Sünden hadert.

Und Junge, gelingt es dem Film, diese Stimmung aufrechtzuerhalten! Kameramann John Mathieson taucht den düsteren Abgesang in stimmungsvolle Bilder, und das Set-Design leistet ganze Arbeit, ebenso wie die Location-Scouts. Schmuddelige Hotelzimmer, einsame Landstraßen, abgelegene Fabrikgelände oder Feuertürme in der Wüste – durchgängig spiegelt die Umgebung das Innenleben der Figuren wieder.

… in Blut getränkt


Das soll aber nicht heißen, dass LOGAN ein reines Drama wäre. Nein, natürlich ist es trotz allem immer noch ein Superheldenfilm, und vor allem immer noch ein Wolverine-Film. Und das bedeutet, es wird blutig!
Wolverines Auftritte waren niemals besonders zimperlich. Auch wenn sich Wolverines Bereitschaft zu töten in den frühen X-MEN Filmen stets noch in Grenzen hielt, und das Publikum überrascht war, wenn hier ein Superheld einfach so irgendwelche Menschen in Stücke hackte, nahm der Leichenberg unter Wolverines Klauen dennoch mit jedem Film weiter zu.
Da ist es nur konsequent, dass LOGAN vermutlich der blutigste aller Auftritte des Wolverine geworden ist. Nein, LOGAN ist kein Kinderfilm. Nicht nur die düstere Grundstimmung, sondern auch die Leichenberge, das Blut und die Gewalt machen den Film für ein junges Publikum eher zum Sperrgebiet. Damit wir das offen aussprechen: Es ist erstaunlich, was für ein Gemetzel hier als Popcornstreifen und mit einer Freigabe ab 16 ins Kino kommt – in den Achtzigern, und vielleicht noch den frühen Neunzigern wäre LOGAN vermutlich hierzulande auf dem Index gelandet!

Nahezu perfekt abrunden tut Mangold seinen Film außerdem mit einer guten Portion Humor, und es gelingt ihm tatsächlich, beinahe in einer Art Nebenspur, eine klare und deutliche gesellschaftskritische Aussage zur Ernährungspolitik(!) anzubringen!
Kurz gesagt: LOGAN funktioniert auf etlichen Ebenen, und auf jeder davon nahezu perfekt. Philosophisch, actionreich, witzig, kritisch, wehmütig und sentimental. Hier kommt keine Sekunde Langeweile auf.
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Vor allem gelingt es dem Film mit ganz wenigen Szenen, eine wirklich tiefsinnige, selbstreferentielle Meta-Ebene aufzubauen. Immer wieder spielen (reale) „X-Men“-Comics eine Rolle, die von Logan angemessen kommentiert und mit der Realität verglichen werden. (Etwas Ähnliches gelang schon Bryan Singers erstem X-MEN, in dem Wolverine schnippisch fragen durfte, ob gelbe Spandex-Anzüge so viel besser gewesen wären.)

Für Kenner und Fans der Comics gibt es mit Sicherheit noch jede Menge weitere Easter-Eggs und Anspielungen zu entdecken, und wir maßen uns nicht an, alle davon erkannt zu haben.

Neue, unerwartete und alte Stars


Als größter Schwachpunkt kann, wieder einmal, der „Bösewicht“ gelten. Die Marvel-Filme leiden quasi chronisch an blassen, farblosen Antagonisten. Auch LOGAN hat hier zu kämpfen, wenngleich Boyd Holbrook als Sicherheitschef Pierce eine gute Figur abgibt, und im Vergleich zu den meisten anderen Superhelden-Schurken sogar genügend Tiefe mitbringt, um gut zu funktionieren. Schwierig ist in diesem Falle Holbrooks enorme Ähnlichkeit mit Charlie Hunnam, die immer ein wenig verstörend wirkt. Da müssen wir der Maskenabteilung einmal auf die Finger klopfen.
Dass der Schurke hier allerdings halbwegs funktioniert liegt auch daran, dass er, anders als etwa noch im enttäuschenden X-MEN – APOKALYPSE, nicht im Fokus der Handlung steht. Er schaut als Antagonist immer wieder einmal vorbei, um der Action etwas Schwung zu geben, doch die eigentliche Geschichte von LOGAN hätte auch ganz vorzüglich ohne ihn funktioniert.

Mit Stephen Merchant bietet LOGAN eine weitere überraschende Besetzung. Denn Merchant überzeugt hier zwar in der Rolle des Irgendwie-auch-Mutanten Caliban, allerdings ist der Brite eher als Komiker bekannt. Als Erfinder von THE OFFICE hat er nicht nur Ricky Gervais zu Weltruhm verholfen, sondern, zumindest hierzulande, auch die Vorlage für STROMBERG geliefert.
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Den Comedy-Autor(!) und -darsteller nun in einer eher dramatischen Rolle zu sehen, überrascht daher. Aber: Merchant macht seine Sache wirklich gut und haucht der tragischen Figur eine Menge Leben ein.

Dass Patrick Stewart und Hugh Jackman ihre Rollen beherrschen, ist bekannt. Und dennoch liefern beide hier ihre vielleicht stärkste Vorstellung als Charles Xavier und Wolverine ab.
Stewart spielt den greisen und zerbrechlichen Telepathen so intensiv, und so perfekt geschminkt, dass man sich fragt, wie der Mann die Dreharbeiten überstanden hat. Man vergisst hier schnell, dass Stewart trotz seiner bald achtzig Jahre für gewöhnlich noch immer ziemlich fit wirkt.
Dennoch ist nachvollziehbar, dass er sich nach nunmehr 17 Jahren (als er die Rolle antrat, war er sechzig!) aus dem Rollstuhl verabschiedet.

Auch Jackman ist in seiner Rolle sichtlich gealtert. Er war zweiunddreißig, als er die Krallen zum ersten Mal ausfahren ließ. Jetzt, mit gut fünfzig Jahren und nach neun(!) Auftritten als Wolverine, sieht man ihm tatsächlich erste Abnutzungserscheinungen an. Nicht, dass Jackman die Rolle nicht weiterhin hätte spielen können. Dennoch, ist er die einzige Figur aus dem X-Men-Universum, die nie von einem anderen Schauspieler übernommen wurde, etwa als mit X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG der gesamte Cast einer Verjüngungskur unterzogen wurde.
Das trug eine Menge dazu bei, Wolverines Unsterblichkeit glaubhaft zu transportieren. Doch Jackman wird nun einmal älter, und besonders lange wäre es auch nicht mehr möglich gewesen, Wolverine alterslos dastehen zu lassen.

Jackman, der seinerzeit die Rolle übrigens auf Empfehlung von Russell Crowe erhielt (der die Rolle angeboten bekam aber absagte, weil, nun, es ein „Comicfilm“ war), hat selbst bereits angekündigt, die Krallen mit LOGAN an den Nagel hängen zu wollen, und wir können ihm nur dazu raten. LOGAN wäre ein würdiger Abschluss der vermutlich erfolgreichsten Superheldenbesetzung aller Zeiten. Als Gegenbeispiel: Die 17 Jahre, in denen Jackman Wolverine spielte, sahen Tobey Maguire und Andrew Garfield als SPIDER-MAN kommen und gehen und mit Tom Holland bereits den dritten Darsteller des freundlichen Netzschwingers von Nebenan auftauchen, der dieses Jahr noch seinen ersten Solofilm erhält.
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Jackman selbst gab einer Neubesetzung der Rolle seinen Segen, wenngleich noch nicht klar ist, ob und wie die Figur des Wolverine in Zukunft die Kinoleinwände zerschlitzen wird.
Zumal Jackman hier nicht nur seinen besten Auftritt als Wolverine hinlegt, sondern eine der besten Leistungen seiner Karriere. Er spielt die Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit, die Müdigkeit und das Alter seiner Figur so herzzerreißend, dass man immer wieder kaum glauben mag, was aus dem einst so schnippischen, zornigen Helden geworden ist.

Als echtes Juwel in LOGAN entpuppt sich allerdings Neuentdeckung Dafne Keen. Die Elfjährige (die die erste X-MEN-Trilogie also noch gar nicht erlebt hat!) spielt die junge Laura, den Zankapfel, um den LOGAN sich dreht.
Dabei muss Keen sich keine Sekunde hinter den deutlich erfahreneren Jackman und Stewart verstecken. Keen gelingt es, ihrer stummen Rolle allein durch ihr Spiel Ausdruck, Tiefe, aber auch Rätselhaftigkeit zu verleihen. Hinzu kommt eine großartige Körperlichkeit, die ihre großen Auftritte neben Wolverine zu einem echten Erlebnis werden lassen.

Besonders erfreut waren wir, Eriq La Salle mal wieder im Kino zu sehen! La Salle, der sein Debüt und seinen Durchbruch in DER PRINZ AUS ZAMUNDA feierte (mit Glanzlocken!) und als granteliger Chirurg Dr. Benton in EMERGENCY ROOM zum Weltstar wurde, absolviert hier seine erste Kinorolle seit elf Jahren! Für uns als Fans eine große Freude.
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Fazit


LOGAN ist, gerade gemessen am Superhelden-Standard, ganz großes Kino!
Düster und nachdenklich, dennoch voller Action, Humor und toller Schauspielleistungen. Und einiger erstaunlicher Twists, zumindest, wenn man das Quellmaterial nicht kennt.
Auch wenn der Schurke hier erneut zum Schwachpunkt gerät, sticht er die meisten anderen blassen Marvel-Filmschurken locker aus, auch, weil er nicht im Fokus der Geschichte steht, die auch ohne ihn prima funktioniert hätte.

LOGAN ist vollgestopft mit wundervollen kleinen Momenten. An jeder Ecke gibt es eine Einstellung, eine Szene, einen Wutausbruch, die berühren, oder eine kleine Geste, die die uralte Freundschaft zwischen Xavier und Logan spürbar macht. Und für Fans der Comics gibt es überall etwas zu entdecken.
LOGAN ist ein mehrschichtiger Film über Abschied, über Ende und Neuanfang, nicht nur im Film, sondern auch für die Kinogänger, die sich hier von zwei Ikonen des Comicfilms verabschieden. Dazu ist er voller Zorn, Wut und Gewalt, als wolle Wolverine noch einmal zeigen, wie hell sein Feuer brennt.
Mit Stewart und Jackman begann einst der Comicboom im Kino. Dieser wird nicht enden, doch er wird, nach 17 Jahren, ohne die zwei weitergehen. Und das macht den Abschied, und die Wehmut, die LOGAN vom ersten bis ins letzte Bild durchziehen, so schmerzhaft. Doch einen besseren Abgesang hätte sich niemand wünschen können.
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1 Kommentar:

  1. Als ich damals den ersten Trailer zu 'Logan' sah, wußte ich, das der gut wird, weil es schon da zu sehen war: dieses nicht hochglanzpolierte Marvelbild sonstiger Comicadaptionen, sondern der Dreck und Schmutz, der die Bilder durchzog. Die Figur Wolverine hat einen derartigen Abschluss aber auch voll und ganz verdient.

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